WAS WIR AUS DER CORONAKRISE LERNEN KÖNNEN


WAS WIR AUS DER CORONAKRISE LERNEN KÖNNEN

Vor einigen Jahren hatten wir hier schon einen Beitrag zur Krise.1 Das war in der Weltfinanzkrise von 2008/9. Die Rede war vom Ende des Neoliberalismus. Davon wird heute wieder geredet. Die meisten Stimmen sagen allerdings, dass wir unsere Systeme, v.a. das ökonomische, zwar behutsam, aber doch schnell wieder hochfahren sollten und darauf achten sollten, dass die Wirtschaft wieder so wie vorher läuft. Einige wenige sehen eine Chance bzw. ein „Muss“ darin, genau jetzt etwas zu verändern und ein nachhaltigeres gesellschaftliches und ökonomisches System aufzubauen.

Wie wird es weitergehen?

Vieles ist ins Rutschen gekommen. Wo gilt es anzusetzen? Wir können einiges aus der Coronakrise lernen. Otto Scharmer, Ökonom und Berater an der Managementschule des MIT in Boston schätzt das folgendermaßen ein.2

Ausgangspunkt seiner Betrachtung ist ein „Grundgefühl im Hinblick auf die Zukunft“, dass er weltweit bei vielen Menschen wahrnimmt:

  • „Die Art und Weise, wie wir Wirtschaft und Gesellschaft heute betreiben, ist nicht nachhaltig. Wir laufen Gefahr gegen die Wand zu fahren.
  • Ich würde gerne an einer anderen Zukunft – einer anderen „story of the future“ – mitwirken.
  • Ich weiß aber nicht genau, wie das geht.“

Vor diesem Hintergrund sieht Scharmer in der aktuellen Krise die Möglichkeit innezuhalten, einen Reset durchzuführen und uns und unser System weiterzuentwickeln.

Für ihn ist die wichtigste Maßnahme der Umbau des Wirtschaftssystems. Die Globalisierung und der globale Kapitalismus, die von vielen als die zentrale Ursache der Krisen und Störungen beschrieben werden, stellt sich selbst in Frage. „Die Systemfrage liegt in der Luft.“3

Der slowenische Philosoph und Kulturkritiker Slavoj Žižek glaubt an des „Ende des (globalen, neo-liberalen) Kapitalismus, wie wir ihn kennen“. Er fordert radikale Veränderungen. Es können nicht mehr alle Lebensbereiche allein den Marktgesetzmäßigkeiten unterliegen. Es braucht weltweite andere Kooperations- und Koordinationsformen. Žižek will „mehr Globalisierung“ und meint damit eine andere Form der Globalisierung: vereinte Systeme, internationale Koordination und Abstimmung.

Auch Scharmer sieht es differenziert. Die Globalisierung wird als Ganzes nicht zurückgedreht werden. Wir leben im Zeitalter des globalen Bewusstseins. Auch er ortet Veränderungsbedarf in der Art und Weise, im Wie. Das heißt zum Beispiel, dass lokalisierte und/oder regionalisierte Wirtschaftsräume für gewisse Produktbereiche an Bedeutung gewinnen werden. Alle drei – Globalisierung, Lokalisierung, Regionalisierung – werden benötigt. Es sind keine Alternativen.

Die Coronakrise rüttelt an vielen Gewissheiten. Für Scharmer muss die Ökonomie so organisiert werden, dass beide Seiten aktiviert werden können – das gesunde Eigeninteresse UND das gesunde Interesse am Gemeinwohl. Es geht um ein Umdenken, einen Bewusstseinswandel von EGO zu ECO (dt. ÖKO). Da wir uns bereits in einer Post-Wachstumsphase befinden, schlägt sich „mehr Bruttosozialprodukt“ schon länger nicht mehr direkt in „mehr Wohlfahrt“ nieder.

Was können wir aus der aktuellen Krise für kommende Herausforderungen, wie die Klimakrise lernen?

Jetzt im 21. Jahrhundert scheinen wir tatsächlich umfassend im Krisenzeitalter angekommen zu sein.4 So sind wir mit Krisen unterschiedlichster Art konfrontiert: Energiekrise, Finanzkrise, Eurokrise, Klimakrise und jetzt auch noch die Coronakrise. Eines scheint sicher zu sein: Es gibt keine unmittelbare Rückkehr in das „goldene Zeitalter“. Wir werden uns weltweit auf Krisenszenarien und Disruptionen einstellen müssen. Die Taktzahl wird zunehmen.

Jede Krise hat zwei Seiten: die Seite dessen, was wir loslassen müssen, was nicht mehr (wie früher) sein wird, und die Seite dessen, was sich abzeichnet, was als Kontur neu sichtbar wird, was emergent wird (Presensing).5

Wir stellen alle gerade fest, dass viele Meetings und Besprechungen, mit denen wir die Kalender gefüllt hatten, doch nicht so wichtig und notwendig sind – einschließlich der damit verbundenen Reisetätigkeit. Warum beschäftigen wir uns also mit Dingen, die nicht wesentlich sind?

Auf der anderen Seite könnten wir doch diese „Zwangspause“ für ein zentrales Gespräch nutzen – „Die Systemfrage liegt in der Luft“ (s.o.). Was sind die „real issues“, mit denen wir uns beschäftigen sollten. Worum geht es eigentlich? Wir brauchen den Mut, uns mit den wirklichen Themen auseinanderzusetzen. Trauen wir uns diese Fragen zu stellen. Dabei sollte man eine gewisse Gelassenheit und Heiterkeit nicht vergessen. Denn die wirklich wichtigen Dinge passieren von selbst. Es reicht, wenn wir ihnen unsere ganze Aufmerksamkeit schenken:

  • Wie könnten wir uns neu ausmalen, wie wir zusammenleben und arbeiten?
  • Wie könnten wir die grundlegende Struktur unserer Gesellschaft neu überdenken?
  • Wie könnten wir unsere wirtschaftlichen und demokratischen Systeme so umgestalten, dass sie die ökologischen, sozialen und spirituellen Gräben unserer Zeit überbrücken?

Vor diesem Hintergrund nennt Otto Scharmer drei zentrale Learnings aus der Coronakrise für den Umgang mit der Klimakrise:

  1. Was es bisher in diesem Ausmaß noch nicht gegeben hat: Wir als Menschheit sind in der Lage innerhalb von drei Wochen unser Verhalten zu verändern. Im globalen Maßstab ist es gelungen innert kürzester Zeit, die Grundstruktur des menschlichen Verhaltens zu verändern. Das wird am Beispiel, wie wir die Hände waschen bzw. Strukturen von social distancing eingeführt haben, deutlich.
  2. Voraussetzung dafür ist, dass es uns gelingt, uns auf ein Thema zu konzentrieren, sich gemeinsam auf eine Priorität einzurichten. Dann „ist alles möglich!“
  3. Dann stehen weltweit Ressourcen in bisher nicht bekanntem Ausmaß zur Verfügung.

Das gibt Hoffnung, dass es möglich sein wird, mit kommenden Krisen gut umzugehen.

Quellen:

  1. Timel, Richard: Zur Krise, 2009, https://www.hantschk-klocker.com/wp-content/uploads/2016/11/zurkrise.pdf
  2. Scharmer, Otto: Eight emerging lessons: from coronavirus to climate action, 2020, http://mitsloanexperts.mit.edu/eight-emerging-lessons-from-coronavirus-to-climate-action/ (10.04.2020); Podcast: Saldo – das Ö1 Wirtschaftsmagazin (10.04.2020), https://podcasts.apple.com/us/podcast/saldo-das-%C3%B61-wirtschaftsmagazin-10-04-2020/id1455341045?i=1000471065551 (10.04.2020)
  3. Stenzel, Alexander; Waskönig, Sven: Das Ende der Welt, wie wir sie kennen, Stand: 23.03.2020, https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/sendung-vom-22032020-102.html (10.04.2020)
  4. Hobsbawm, Eric: Das Zeitalter der Extreme, Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, 1998
  5. Klocker, Gerhard: Übergänge für das Neue schaffen, 2007, https://www.hantschk-klocker.com/wp-content/uploads/2016/11/uebergaenge-fuer-das-neue.pdf